In einem richtungsweisenden Urteil zur Haftung von KI-Betreibern hat das Landgericht Kiel am 29. Februar 2024 (Az. 6 O 151/23) entschieden, dass Betreiber von KI-Systemen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch ihre KI verantwortlich sind. Konkret bejahte das Gericht die Haftung eines Unternehmens, dessen KI-System unwahre Informationen über ein anderes Unternehmen generiert und veröffentlicht hatte. Diese Entscheidung stellt einen relevanten Präzedenzfall dar, der klärt, dass auch Inhalte, die durch Künstliche Intelligenz erzeugt wurden, den Betreiber in die Verantwortung nehmen. Damit zieht das Urteil klare Grenzen für die Haftung von Unternehmen, die KI zur Verarbeitung und Verbreitung von Daten einsetzen, und gibt ihnen wichtige Leitlinien an die Hand, um Risiken für Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu minimieren.
Auf einen Blick
Vorgang | Ein mittelständisches Unternehmen klagte gegen die Betreiberin eines Wirtschaftsauskunftsportals, weil auf der Internetseite der Beklagten zu Unrecht die Löschung der Klägerin wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG angezeigt worden war. Die Portalbetreiberin hatte die Information automatisiert aus öffentlichen Registern übernommen, nach einem Hinweis des Unternehmens jedoch die fehlerhafte Meldung gelöscht. Eine Unterlassungserklärung wurde nicht abgegeben. |
Entscheidung | Das Gericht stellte fest, dass die falsche Tatsachenbehauptung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt (§ 1004 BGB analog i.V.m. § 823 BGB). Das Unternehmen hat einen Anspruch auf Unterlassung und Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 527 €. Die Betreiberin des Portals hafte als unmittelbare Störerin, da sie sich einer automatisierten Datenverarbeitung bedient habe, die unrichtige Informationen veröffentlicht habe. |
Urteil | LG Kiel, 29.02.2024, Aktenzeichen: 6 O 151/23 |
worum ging es bei dem Urteil?
Die Klägerin, ein mittelständisches Unternehmen, stellte fest, dass auf einer von der Beklagten betriebenen Plattform fälschlicherweise berichtet wurde, dass ihr Unternehmen wegen „Vermögenslosigkeit“ gelöscht werden solle. Diese Darstellung stelle eine erhebliche Rufschädigung dar und beeinträchtige die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens. Die Beklagte hatte die Information allerdings nicht selbst erstellt, sondern eine KI eingesetzt, die automatisiert auf öffentlich zugängliche Informationen wie Handelsregistereinträge zugriff und diese auswertete. Die KI der Beklagten analysierte und veröffentlichte diese Daten dann ohne manuelle Überprüfung. In ihren Nutzungsbedingungen wies die Beklagte darauf hin, dass aufgrund des KI-gestützten Informationsprozesses Fehler auftreten könnten.
Nach Aufforderung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und Feststellung eines technischen Fehlers in der Verarbeitungskette löschte die Beklagte die fehlerhaften Informationen. Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung lehnte sie jedoch ab. Die Klägerin erhob daraufhin Klage auf dauerhafte Unterlassung und Erstattung ihrer außergerichtlichen Anwaltskosten.
Die Entscheidung des Landgericht Kiel
Das Landgericht Kiel gab der Klägerin Recht und bestätigte, dass die Veröffentlichung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Unternehmens darstelle. Diese Verletzung greift nach Ansicht des Gerichts in den sogenannten „Ehrenschutz“ ein, der auch Unternehmen zusteht. Obwohl der Ehrenschutz in erster Linie natürliche Personen betrifft, sah das Landgericht Kiel hier eine Ausnahme, da auch Unternehmen ein Recht auf Wahrung ihres Ansehens in der Öffentlichkeit haben.
Die unwahre Behauptung, die Löschung des Unternehmens aus dem Handelsregister sei wegen „Vermögenslosigkeit“ beabsichtigt, beeinträchtige das öffentliche Ansehen und die Kreditwürdigkeit der Klägerin. Das Gericht betonte, dass es sich nicht um eine bloße Meinungsäußerung, sondern um eine Tatsachenbehauptung handelte, die zudem nachweislich falsch war. Die Beklagte könne sich daher nicht auf die Meinungsfreiheit berufen.
Darüber hinaus stellte das LG Kiel fest, dass die Beklagte hier nicht nur als Suchmaschinenbetreiber auftrete, sondern die Inhalte aktiv zur Verfügung stelle und damit für die von der KI generierten Informationen verantwortlich sei.
Verantwortung für KI-Output als Störerin
Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte als so genannte „unmittelbare Störerin“ für die KI-Ausgabe haftet. Nach deutschem Recht ist Störer, wer ohne eigenes Verschulden eine Rechtsverletzung adäquat kausal herbeigeführt hat oder durch sein Verhalten die Beeinträchtigung einer rechtlich geschützten Position ermöglicht. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte bewusst eine automatisierte KI-gestützte Informationsverarbeitung eingesetzt und damit die unkontrollierte Veröffentlichung falscher Informationen zu verantworten.
Das Gericht stellte darauf ab, dass sich die Beklagte die KI-generierten Inhalte „zu eigen gemacht“ habe. Dies bedeute, dass die Beklagte als Betreiberin der Plattform nicht nur die technische, sondern auch die inhaltliche Verantwortung für die angezeigten Informationen übernommen habe. Zudem sah das LG Kiel die Gefahr weiterer solcher Veröffentlichungen als gegeben an, weshalb es eine Wiederholungsgefahr und damit eine Verpflichtung zur zukünftigen Unterlassung bejahte.
Datenschutz und KI-Systeme
Sollten KI-Systeme zur Verarbeitung personenbezogener Daten eingesetzt werden, kommen neben der allgemeinen Verantwortlichkeit für Inhalte auch erhebliche datenschutzrechtliche Anforderungen zum Tragen. Unternehmen, die künstliche Intelligenz einsetzen, um Informationen zu analysieren oder zu veröffentlichen, müssen sicherstellen, dass die Datenverarbeitung den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entspricht. Folgende Aspekte sind dabei besonders relevant:
- Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch KI-Systeme muss immer auf einer klaren Rechtsgrundlage beruhen, z.B. auf der Einwilligung der Betroffenen oder einem berechtigten Interesse des Unternehmens. Besonderes Augenmerk ist auf die Zweckbindung zu legen, also darauf, dass die Daten ausschließlich für den zuvor definierten Zweck verarbeitet werden. Die Nutzung durch KI-Systeme darf diese Zweckbindung nicht erweitern oder verändern.
- KI-Systeme, die personenbezogene Daten verarbeiten, müssen technische und organisatorische Maßnahmen umsetzen, um die Daten vor unberechtigtem Zugriff, Verlust oder Veränderung zu schützen. Dazu gehören beispielsweise die Verschlüsselung, Anonymisierung oder Pseudonymisierung der Daten. Die Sicherheitsmaßnahmen müssen der Sensibilität der verarbeiteten Daten und den potenziellen Risiken angemessen sein.
- Die DSGVO verpflichtet Unternehmen, die betroffenen Personen umfassend über die Verarbeitung ihrer Daten zu informieren. Diese Transparenzpflicht gilt auch für die Verarbeitung von KI: Unternehmen müssen darüber informieren, dass eine KI zur Datenanalyse eingesetzt wird, welche Daten verarbeitet werden und welche Entscheidungen oder Vorhersagen auf Basis dieser Daten getroffen werden.
- Ein wichtiger Datenschutzgrundsatz für KI-Systeme ist die Nachvollziehbarkeit automatisierter Entscheidungen. Betroffene Personen haben das Recht zu erfahren, wie ihre Daten verarbeitet werden und welche Entscheidungsprozesse von der KI durchgeführt werden. Bei sensiblen Entscheidungen ist es daher notwendig, dass das Unternehmen eine nachvollziehbare Dokumentation der KI-Entscheidungen zur Verfügung stellen kann.
- Betroffene Personen haben das Recht auf Auskunft, Berichtigung, Löschung und Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer Daten. Insbesondere bei KI-gestützten Systemen, die automatisierte Entscheidungen treffen, ist sicherzustellen, dass die Betroffenen ihre Rechte uneingeschränkt wahrnehmen können. Soweit automatisierte Entscheidungen Rechtswirkungen entfalten, ist auf Antrag eine menschliche Überprüfung zu gewährleisten.
Fazit für Betreiber von KI-Systemen
Das Urteil des Landgerichts Kiel setzt neue Maßstäbe für die Haftung für KI-generierte Inhalte und zeigt, dass sich Unternehmen nicht von der Verantwortung für maschinell generierte Informationen befreien können. Die Entscheidung unterstreicht, dass KI nicht losgelöst von der Verantwortung des Betreibers agiert und auch KI-gestützte Systeme einer sorgfältigen Überwachung bedürfen.
Unternehmen müssen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten nicht nur eine sorgfältige rechtliche Prüfung vornehmen, sondern auch angemessene und wirksame technische und organisatorische Schutzmaßnahmen treffen. Datenschutzverstöße durch fehlerhafte oder unzureichend konfigurierte KI-Systeme können erhebliche Bußgelder und Reputationsschäden nach sich ziehen. Unternehmen sind daher angehalten, ihre KI-Systeme stets unter strikter Beachtung der DSGVO zu entwickeln und zu betreiben, um Datenschutzrisiken bestmöglich zu minimieren.
Empfohlene Maßnahmen
Für Unternehmen, die KI für die Informationsverarbeitung einsetzen, ergeben sich aus dem Urteil konkrete Handlungsempfehlungen, um Risiken und Haftungspotentiale zu reduzieren:
- KI-gestützte Systeme sollten sorgfältig ausgewählt, konfiguriert und ständig überwacht werden. Es muss sichergestellt werden, dass diese Systeme keine falschen oder verzerrten Inhalte generieren, die zu Rechtsverletzungen führen könnten.
- Unternehmen sollten transparent über den Einsatz und die Funktionsweise ihrer KI-Technologien informieren. Dies kann nicht nur Vertrauen schaffen, sondern auch dazu beitragen, potenzielle Haftungsansprüche zu reduzieren.
- Unternehmen sollten prüfen, ob Haftungsrisiken für KI-Output durch spezielle Versicherungen abgedeckt sind. Versicherungen könnten im Schadensfall die finanzielle Belastung durch Rechtsstreitigkeiten und Schadensersatzforderungen mindern.
Das Urteil des LG Kiel macht deutlich, dass die inhaltliche Verantwortung für KI-gestützte Systeme nicht leichtfertig abgewälzt werden kann. Unternehmern ist zu raten, den Einsatz von KI mit großer Sorgfalt und im Bewusstsein möglicher Risiken zu gestalten.
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